Kann eine weniger strikte Spuren-Meidung die natürliche Toleranzentwicklung fördern?
In aller Kürze:
In diesem Nuss-Ecken-Artikel erfährst du,
- wie die Nahrungsmittelprovokation meines Sohnes im Rahmen der TINA-Studie abgelaufen ist,
- welche Fragen mich dazu erreicht haben (natürlich mit Antworten),
- und wie es mir gelingt, stark und positiv zu bleiben!
Disclaimer: Dieser Artikel beinhaltet allgemeine und persönliche Informationen; er stellt aber keine medizinische Beratungsleistung dar und ersetzt keinen Arztbesuch!
(…hier auch zum Anhören im Nuss-Knacker-Podcast:)
Provokationstest und TINA-Studie
Mein Sohn und ich waren letzte Woche in der Berliner Charité zur Nahrungsmittelprovokation mit der Option, in die TINA-Studie aufgenommen zu werden. Geplant waren Haselnuss und Walnuss, doppelblind, placebokontrolliert.
Der bestmögliche Ausgang bzw. Wunsch wäre gewesen:
Er käme bei Haselnuss und Walnuss bis zur 5. Gabe, würde dann für Haselnuss in die Studie aufgenommen und käme in die Interventionsgruppe.
Intervention heißt, regelmäßig kontrolliert „Spuren“ aus einem vorgegebenen, normal käuflichen Lebensmittel zu konsumieren, beginnend mit 1/100 der vertragenen Dosis, nach 4 Monaten 1/50, nach 8 Monaten 1/10, nach 12 Monaten Reprovokation, um festzustellen, inwiefern sich die Toleranz verbessert hätte.
Wie lief die Provo ab?
Tag 1:
Der Montag startete mit der Aufnahme, vielen Gesprächen, Fragebögen und Probenentnahmen, und sobald der Zugang lag, ging die erste Provo los. Diese lief glatt durch, ohne jede Reaktion.
Damit war für uns klar: Das kann nur Placebo gewesen sein.
Tag 2:
⚠️ TRIGGER-WARNUNG: Ich schreibe hier über eine (milde) anaphylaktische Reaktion während einer Provokationstestung. Wenn es dir schwerfallen sollte, das zu lesen, dann spring bitte weiter unten zu „Tag 3“!
Der zweite Tag war etwas „spannender“…
Die Provo startete nach dem Frühstück:
Die erste Gabe blieb ohne Reaktion, nach der 2. juckte der Rachen ein wenig und es erschien eine kleine Quaddel am Bauchnabel, die von allein wieder verschwand.
Nach der 3. Gabe meinte mein Sohn, Walnuss zu schmecken. Keine Reaktion.
Nach der 4. Gabe wieder ein wenig Rachenjucken.
(Für mich roch es übrigens nach Haselnuss.)
Kurz nach der 5. Gabe bekam er starke Bauchschmerzen, ihm wurde übel, er wurde untersucht. Da zunächst keine weiteren Symptome kamen, sollte er erstmal ins Zimmer zurück und abwarten, bis die Bauchschmerzen abklingen.
Im Zimmer hat er sich hingelegt und ist sofort eingeschlafen. Daraufhin kam er an den Monitor, der Kreislauf war stabil. Nach ca. 15 Minuten wurde er unruhig und fing an, sich zu kratzen. Es bildeten sich Quaddeln im Gesicht, im Nacken und auf dem Rücken, die Lippe war geschwollen und es juckte überall.
Wir sind wieder ins Untersuchungszimmer gegangen, die Provo wurde als „positiv“ gewertet, er bekam Antihistaminikum und Cortison über den Zugang und den klaren Hinweis, im „echten Leben“ jetzt den Adrenalin-Pen setzen zu müssen.
Danach hat er auf der Untersuchungsliege 2 Stunden am Monitor geschlafen, Kreislauf und Atmung blieben die ganze Zeit über stabil. Später ging es ihm wieder gut, er war nur etwas „platt“ – und er hatte einen Wahnsinns-Hunger, hat eigentlich bis in den Abend hinein nur gefuttert…
Tag 3:
Der nächste Tag hätte wegen der Medikamentengabe ein Pausentag sein sollen, bevor am 4. Tag die 3. Provo gestartet hätte.
Hätte, hätte, Fahrradkette.
Leider wachte mein Sohn nach einer unruhigen Nacht (mit Monitoring, aber ohne Atem- oder Kreislaufprobleme) mit Kopfschmerzen und Übelkeit auf und musste sich erbrechen. Als weiteres Erbrechen und Fieber hinzukamen, war klar, dass er sich wohl einen besch… Infekt eingefangen haben muss. Ein Corona-Schnelltest war negativ, ein PCR-Abstrich wurde gemacht und er bekam eine Infusion.
Er war wirklich elend.
Mittags ging dann auf einmal alles ganz schnell:
Es war klar, dass man unter diesen Voraussetzungen die Provo nicht am nächsten Tag fortsetzen konnte. Da ein normaler Magen-Darm-Infekt kein Grund für einen stationären Aufenthalt ist die Klinik aufgrund der hohen Zahl an Omikron-Fällen jedes Zimmer brauchte, bestand leider keine andere Möglichkeit, als uns mittags zu entlassen.
😳 Wow, da habe ich erstmal sparsam geguckt, mit einem so elenden Kind 600 km von zu Hause entfernt!
Teilnahme an der TINA-Studie:
Bezüglich der Studie haben wir dann entschieden, zu entblinden und mit der „erfolgreich“ provozierten Nuss in die Studien-Randomisierung zu gehen, d.h. ihn per Computer in die Interventions- oder Vermeidungsgruppe zuzuordnen.
Die Entblindung ergab: 1. Tag Placebo, 2. Tag Walnuss.
Nach der Randomisierung wurde er der Vermeidungsgruppe zugeordnet.
Das bedeutet nun:
Wir machen weiter wie bisher, meiden strikt die bekannten Nüsse inkl. Spuren, nur unter Studienbegleitung. D.h. wir führen Protokoll über eventuelle Reaktionen, sind in 4 und 8 Monaten wieder ambulant dort, geben Proben ab und füllen Fragebögen aus.
Nach 12 Monaten wird erneut provoziert, und dann holen wir die Haselnuss-Provo nach.
Im 2. Jahr kann er dann für die Walnuss das durchführen, was jetzt die Interventionsgruppe durchführt, nämlich die „kontrollierte Spurengabe“, wie oben beschrieben.
Insofern geht ihm nichts wirklich verloren.
Fazit: Mission erfolgreich!
Das Ergebnis ist zwar nicht ganz so, wie gewünscht, aber dennoch so, dass wir es als Erfolg betrachten können.
Die Rückfahrt mit Taxi und Bahn haben wir übrigens ohne „Zwischenfälle“ überstanden, der PCR-Test war negativ und inzwischen ist er wieder komplett fit.
Fragen zur TINA-Studie und zu Provokationstests:
Ich habe euch in meinen Insta-Storys an den Provo-Tagen teilhaben lassen und ganz viel Unterstützung erfahren (DANKE! 💚) und zahlreiche Fragen gestellt bekommen. In den Story-Highlights kannst du die Storys ansehen.
Die 3 häufigsten Fragen beantworte ich jetzt hier nochmal:
Was ist die TINA-Studie?
In ganz kurz:
Es geht um die Frage, ob sich durch eine weniger strikte Spurenmeidung bzw. eine regelmäßige kontrollierte Spurengabe die Toleranzschwelle erhöht – indem z.B. für Walnuss 1/100 der vertragenen Menge in Form eines normal käuflichen Lebensmittels regelmäßig gegeben wird, nach 4 Monaten dann 1/50, nach 8 Monaten 1/10, und dann schaut man nach einem Jahr in der Reprovokation, wie sich die Toleranz entwickelt hat (wobei die ohnehin gewissen natürlichen Schwankungen unterliegt).
In der Vermeidungsgruppe schaut man parallel nach der Toleranzentwicklung bei strikter Spurenmeidung.
Laut Klinik werden noch StudienteilnehmerInnen gesucht:
Teilnehmen können Kinder und Erwachsene zwischen 1 und 65 Jahre alt mit Verdacht auf oder einer bekannten Allergie gegen Erdnuss, Haselnuss, Walnuss oder Cashewkerne.
Nähere Informationen zur TINA-Studie findest du hier im 👉 Studienflyer. Wenn dich das interessiert, nimm einfach mal unverbindlich Kontakt auf und frag nach – es sind alle sehr, sehr nett dort!
Wie lang ist eure letzte Provo her, und in welchen Abständen sollte überhaupt provoziert werden?
Unsere Provos bzw. die meines Sohnes waren 2011, 2014, 2015, 2020 und jetzt 2022 – also in recht unregelmäßigen Abständen. (👉Hier findest du praktische Eltern-Tipps für Provokationstests)
In den ersten Jahren ging es um die grundlegende Diagnostik, weil immer neue Nüsse dazukamen. 2020 ging es dann um die Frage, ob sich vielleicht bei Haselnuss etwas verbessert haben könnte (Spoiler: hat es nicht).
Generell werden Abstände von ca. 3-5 Jahren angedacht, wobei das sehr vom Einzelfall abhängt:
Bei jüngeren Kindern mit Milch- und Ei-Allergien ist es z.B. meist sinnvoll, öfter zu provozieren, weil hier eine spontane Toleranzentwicklund sehr wahrscheinlich ist und man das nach erfolgreicher Provo z.B. mit verbackener Milch/ verbackenem Ei unterstützen kann.
Insofern sollte die Frage nach der Häufigkeit und der Sinnhaftigkeit von Provokationen IMMER mit Blick auf die individuelle Allergie-Situation mit den behandelnden ÄrztInnen abgeklärt werden!
Wird die Provo für die Kinder mit zunehmendem Alter leichter, und durftest du als Begleitperson dabei bleiben?
Einerseits: Ja, es wird leichter, weil den Kids klar ist, worum es bei der Provokationstestung geht und wie sie abläuft, und weil sie sich selbst äußern können, wenn erste Symptome kommen.
Andererseits kann aber genau dieses Wissen die Angst erhöhen und zu psychisch bedingten Symptomen führen, daher werden hier normalerweise doppelblind placebokontrollierte Provos durchgeführt, so wie gerade bei meinem Sohn beschrieben.
Und ja, ich durfte dabei bleiben. Das ist von Seiten der Klinik ausdrücklich so gewünscht, denn zum einen ist es für die Kinder eine unheimliche psychische Herausforderung, bei der sie permanente Unterstützung brauchen. Und zum anderen muss jemand anwesend sein, um die körperlichen Symptome zu beobachten und bei Reaktionen Hilfe zu holen.
Der arme Kerl…
Tatsächlich ist eine Provokation immer eine hohe psychische und – je nach Reaktion und Medikamentengabe – auch körperliche Belastung. Für Außenstehende ist nicht immer ganz nachvollziehbar, warum man sich bzw. sein Kind dem „aussetzt“ und welchen „Vorteil“ man sich dadurch erhofft.
Sätze wie „Da hat er aber ganz schön was durchgemacht, der arme Kerl…“ sind daher ganz typisch. Und es stimmt ja auch. Allerdings – so kann ich es für uns sagen: Eine Provo in einer so erfahrenen Klinik wie z.B. der Charité läuft sehr kontrolliert ab. Wir haben uns zu keiner Zeit unsicher gefühlt und wussten vorher, worauf wir uns einlassen. Mein Sohn hat sich bewusst dafür entschieden.
…was mich zum letzten Punkt dieses Artikels führt, nämlich:
Was ich rückblickend über die Provo und die Studien-Teilnahme denke, und wie es mir gelingt, stark und positiv zu bleiben:
Mein Sohn ist 14, bald 15. Er tut nichts, was er nicht will, d.h. er war in die Entscheidung, es mit der Studie zu versuchen, nicht nur eingebunden, sondern hat sie letztendlich aktiv getroffen. Und er weiß, dass er jederzeit aussteigen kann, ohne Begründung.
Er sagt ganz klar:
Wenn es endlich eine Studie für Baumnüsse/ Schalenfrüchte gibt, dann will er dabei sein! Und wenn sie ihm vielleicht nichts bringt, dann bringt seine Teilnahme wenigstens die Forschung weiter!
DAS wiederum motiviert mich ungemein – da bin ich wirklich Mutter-stolz, dass er so eine Haltung hat! Diese Haltung kann ich gut für mich übernehmen, wobei ich natürlich hoffe, dass es für ihn irgendeine Verbesserung gibt!
Wir haben schon so viel geschafft, da werden wir das hier auch schaffen. Es bringt uns wieder mehr Klarheit und neue Erkenntnisse, und das macht uns stärker.
Positives Denken und Dankbarkeit
Außerdem habe ich – nicht zuletzt durch das Allergie-Leben – eine allgemein sehr positive Sichtweise für mein Leben gefunden, die ich auch versuche, anderen Allergie-Familien – Eltern und Kindern – zu vermitteln (in meinen Schulungen, Beratungen, und vor allem in der neuen
Natürlich könnte ich als Allergie-Mama, als Allergie-Papa an der Situation verzweifeln und leiden, ich könnte mich in Allergie-Katastrophenszenarien verfangen und alles schwarz sehen – ich weiß das, denn vor vielen Jahren war ich in genau diesem Zustand!
Ich kann mich aber auch bewusst entscheiden, die Situation anzunehmen, die positiven Seiten zu sehen und dankbar dafür zu sein, dass es uns gut geht, dass mein Sohn trotz und mit Allergien ein schönes Leben hat und sogar an der Allergie wachsen kann!
Genauso sehe ich es auch mit dieser Studie:
Sie ist vielleicht nur ein winzig kleiner Strohhalm, und sie ist aufwändig, aber wir können dadurch nichts verlieren, sondern nur gewinnen!
Herzlichst
Kristina Schmidt
P.S. Kann Spuren von Wissen enthalten!
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