Und plötzlich ist alles anders…

„Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, etwas anderes zu planen.“

(frei nach John Lennon)

Wenn ein eigentlich gesundes Kind plötzlich in einen akut lebensbedrohlichen Zustand gerät, bricht für Eltern die bisherige Welt zusammen. Das Grundvertrauen in die Gesundheit des eigenen Kindes ist angeknackst, das Gefühl von Kontrollverlust ist groß.

T78.0 Anaphylaktischer Schock durch Nahrungsmittelunverträglichkeit

T78.1 Sonstige Nahrungsmittelunverträglichkeit

T78.2 Anaphylaktischer Schock, nicht näher bezeichnet

So oder ähnlich nüchtern lesen sich die ICD-10-Diagnosen, die Eltern von nahrungsmittelallergischen Kindern auf den Klinik-Entlassbriefen oder den IgE-Testergebnissen lesen.

Wenn es gut läuft, erhalten sie dazu ein umfassendes Arztgespräch, ein vollständiges Notfallset inkl. Notfallplan und Einweisung ins Notfallmanagement, ggf. weitere Diagnostik, eine qualifizierte Ernährungsberatung, eine Anaphylaxieschulung.

Wenn es schlecht läuft, nicht.

Wenn es ganz schlecht läuft, fallen Sätze wie – ich zitiere:

„Herzlichen Glückwunsch, ihr Kind hat die tödlichste Allergie, die man haben kann!“

Oder auch: „Meiden Sie halt einfach Erdnüsse.“

Während das erste Zitat zynische Panikmache ist, ist das zweite eine Bagatellisierung. Hilfreich ist keins von beiden.

Denn was macht die Diagnose mit den Eltern, den Familien?

Die nüchterne ICD-10-Klassifizierung verändert ihr gesamtes Leben, von einem Tag auf den anderen.

Plötzlich ist alles anders.

Plötzlich wird Essen zur Bedrohung.

Plötzlich wird ALLES zur Bedrohung!

An einer Erdnussallergie oder einer anderen Nahrungsmittelallergie zu sterben, ist – statistisch gesehen – höchst unwahrscheinlich. Bloß: Wer einmal miterlebt hat, wie das eigene Kind aufgrund kleinster Mengen Nuss oder Erdnuss innerhalb kurzer Zeit zuschwillt, nach Luft ringt oder „einschläft“, dem ist diese Statistik herzlich egal. Die Angst ums eigene Kind ist da. Und dass es mit „einfach Erdnuss (oder Allergen XY) meiden“ gar nicht so einfach ist, hat man auch relativ schnell raus:

  • der Dschungel der Lebensmitteldeklaration…
  • die unzähligen Gelegenheiten und Anlässe, bei denen gegessen wird…
  • Unwissenheit und Unverständnis im Freundes- oder Familienkreis…
  • Unwissenheit und Angst bei ErzieherInnen und LehrerInnen…
  • Unwissenheit und Ablehnung in Bäckereien, Eisdielen und Restaurants…

…mit all dem muss man sich auseinandersetzen, ob man will oder nicht.

All das MACHT etwas mit den Familien!

Das ansonsten meist völlig gesunde Kind muss nun ständig und überall Notfallmedikamente dabei haben, von denen eines in Form einer automatisch auslösenden Spritze (Autoinjektor) verabreicht werden soll. Was eigentlich als Sicherheit und quasi Lebensversicherung gedacht ist, stellt für die Familien anfangs eine zusätzliche Verunsicherung dar:

  • Was sind das für Medikamente?
  • Wann muss welches Medikament gegeben werden?
  • Kann man mit den Medikamenten Schaden anrichten?
  • Wie funktioniert der Autoinjektor und wann muss man den anwenden?

Eine klassische Abwehr-Reaktion ist: Hoffentlich müssen wir den niemals anwenden!

Wenn sich von einem Tag auf den anderen alles ändert – was passiert dann?

Im Zusammenhang mit der Akzeptanz von schwerwiegenden Erkrankungen stößt man immer wieder auf verschiedene „Phasen der Trauer“ mit unterschiedlichen Unterteilungen.

Auch für das Verarbeiten der Anaphylaxie-Diagnose lassen sich solche Phasen beobachten:

  • Leugnen, Nicht-Wahrhabenwollen: Das kann doch nicht wahr sein! Das passiert uns nicht wirklich!
  • Emotionen wie Wut und Schuldgefühle: Sch…allergie!!! Warum ausgerechnet mein Kind? Was habe ich falsch gemacht in der Schwangerschaft, Stillzeit, Beikost etc.?
  • Verhandeln und hadern, Infragestellen der Diagnose: Vielleicht ist alles gar nicht so schlimm? Müssen wir wirklich Spuren meiden oder ist das nicht total übertrieben?
  • Depressive Phasen und Ängste
  • Akzeptanz und Einrichten in der neuen Lebenssituation

Ob und wie sehr das tatsächlich auf jede einzelne Familie zutrifft, sei mal dahingestellt. Letztendlich ist das auch davon abhängig, wie stark ein Kind tatsächlich betroffen ist bzw. wie die bisherigen Erfahrungen waren und wie die bisherige Diagnostik und ärztliche Beratung abgelaufen sind.

Vor allem die Mütter sind betroffen

In meinen Beratungen erlebe ich vor allem Mütter, die solche Phasen durchlaufen. Sie sind meistens diejenigen, die die Anaphylaxie miterlebt haben, die Arzttermine wahrnehmen, fürs Essen verantwortlich sind und den Großteil des Alltags mit dem Kind verbringen. Sie sind am nächsten dran, die Allergie und die Angst ums Kind sind omnipräsent.

Manchmal sind sie noch zusätzlich dadurch belastet, dass ihr Partner oder die Großeltern des betroffenen Kindes eine ganz andere Einschätzung der Situation haben als sie selbst. Dieser Konflikt zwischen großer Verzweiflung, Verunsicherung und Angst auf der einen Seite und Verharmlosung, Ignoranz und „als Helikoptermama hingestellt werden“ auf der anderen Seite macht die Situation nur noch schlimmer…

Akzeptanz und Einrichten in der neuen Lebenssituation

Ich wünsche jeder einzelnen betroffenen Familie, jeder einzelnen betroffenen Mama, dass sie den Weg zu „Akzeptanz und Einrichten in der neuen Lebenssituation“ schaffen und wissen, dass sie damit nicht allein sind!

Es braucht Zeit und einiges an Wissen, aber es ist möglich, auch mit dieser chronischen Erkrankung gut und „normal“ zu leben!

Wenn du möchtest, helfe ich dir dabei!

Herzlichst
Kristina Schmidt

 

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