Die Allergie ist ein Teil von mir
Immer wieder gibt es für uns als Eltern Allergie-Situationen, in denen unser Herz blutet, weil unser Kind an etwas nicht teilnehmen kann. Ich bin Verfechterin größtmöglicher Inklusion und Teilhabe, denn Essen bedeutet Genießen und Teilen innerhalb einer sozialen Gemeinschaft – umso härter ist es, wenn jemand aufgrund seiner Nahrungsmittelallergie ausgegrenzt wird! In der Grundschulzeit hatten wir aufgrund von gut geschulten LeherInnen und tollen MitschülerInnen/Eltern so gut wie keine Probleme. Aber ich stelle fest: Je älter mein Kind wird, desto häufiger sind solche Situationen, weil sein Radius immer größer wird und er seine Allergie zunehmend selbst managen muss. Also wollte ich wissen, wie er heute über solche Situationen denkt, denn er ist ja derjenige, der mit der Allergie leben muss, der Nein sagen und zugucken muss, nicht ich! Wie schätzt er das ein? Dabei ist folgendes Interview entstanden, das ich gern mit euch teilen möchte:
F., du bist jetzt 12 Jahre alt, gehst in die 6. (bzw. nach den Ferien in die 7.) Klasse und hast ein ganz normales Leben mit Freunden, Sportverein und Hobbys. Welche Allergien hast du?
Ich reagiere anaphylaktisch auf Nüsse, besonders auf Cashew und Pistazie, und muss Spuren von Nüssen meiden. Mandeln und Erdnüsse vertrage ich. Außerdem bin ich allergisch gegen Pollen, Hausstaub und Katzenhaare, und ich habe Asthma.
Wie stark spielt die Nussallergie in deinem Alltag eine Rolle?
Auf einer Skala von 0-10, 0 = gar nicht, 10 = extrem stark?
Schwer zu sagen… Die Allergie hat mein Leben schon stark verändert, aber sie schränkt mein Leben ja nicht ein, ich bin ja trotzdem ein normaler Junge und bin glücklich! Ich denke da gar nicht mehr so viel drüber nach, es ist einfach ein Teil von mir geworden. Von 0 bis 10… ich würde sagen, so 5 bis 6. Man sollte nicht zu viel Angst haben und sich einschränken lassen, aber auch nicht zu wenig, weil dann was passieren kann – also mittel!
Ist deine Klasse nussfrei?
Cashews und Pistazien werden nicht mitgebracht. Ein Knoppers* oder Hanuta* kommt schon mal vor, aber dann gehe ich halt weg von demjenigen. Mich stört das nicht, und die lassen mich damit in Ruhe.
Gibt es Situationen, in denen du wegen der Allergie etwas nicht mitmachen kannst?
Schon, ja. Wenn z.B. jemand zur „Strafe“ einen Kuchen mitbringen muss, weil das Handy im Unterricht geklingelt hat, bin ich schon manchmal ein bisschen enttäuscht, wenn der Kuchen dann lecker aussieht. Dann denk ich mir manchmal: Warum ich…?
Oder wenn jemand Geburtstag auf der Bowlingbahn feiert und es im Anschluss dort Essen gibt und die im Restaurant keine Ahnung haben oder einfach keine Allergiker bedienen wollen – dann ist das schon irgendwie doof!
Letzte Woche sind wir mit der Klasse in die Eisdiele gegangen, als Belohnung, weil wir leise waren. Das fand ich nicht schlimm, weil eh alle nur eine Kugel bekommen haben und wir danach auf den Spielplatz gegangen sind. Ich durfte meine Kugel weiterverschenken, dann hat jemand anderes zwei Kugeln bekommen und sich gefreut! (lacht)
Und außerhalb der Schule, z.B. im Sportverein?
Wir hatten vor Kurzem Deutsche Meisterschaften im Rollhockey. Da gab es für alle Mannschaften in der Kabine Muffins mit einem Rollschuh aus Fondant oben drauf. Die konnte ich natürlich nicht essen, weil ich nicht wusste, was drin war und wer die gemacht hat. Aber ich hatte ja genug andere Sachen dabei, die zum Glück auch nicht gesund waren (lacht) – also, kein Problem!
Nach unserem letzten Spiel sind alle zum Eiswagen gegangen und haben eine Kugel Eis bekommen. Aber das fand ich auch nicht schlimm, weil das nur eine Kugel war und ich wusste, zu Hause haben wir auch Eis.
Also, sowas ist dann in dem Moment manchmal kurz doof, aber nicht wirklich schlimm für mich, weil es immer eine Alternative gibt, früher oder später!
Wenn du zurück denkst an die Grundschulzeit, was hat sich verändert für dich?
Die Grundschule war eine viel kleinere und geschlossenere Gemeinschaft, nur wenige Lehrer, die alle Bescheid wussten. Das Gymnasium ist viel größer, das Gelände ist viel größer, es gibt viel mehr Schüler und Lehrer, und man muss mehr Verantwortung auf sich nehmen und auf sich selbst aufpassen.
Fühlst du dich da unsicher?
Nein, gar nicht.
Welche Tipps kannst du anderen Kindern mit Anaphylaxierisiko geben, die jetzt in die Grundschule kommen?
Wie schon gesagt: Nicht zu viel Angst haben, aber auch nicht zu wenig. Man kann’s halt nicht ändern, aber wenn man zu viel Angst hat, kann man ja gar nicht mehr vor die Tür, findet keine Freunde und wird nicht glücklich im Leben! Aber trotzdem sollte man die Allergie im Hinterkopf haben und nicht nachlässig werden! Wenn man denkt: „Das esse ich jetzt einfach, wird schon nichts passieren“, passiert es vielleicht doch. Das geht halt nicht!
Gibt es etwas, das du den Eltern gern sagen möchtest? Die sind ja in der Schule nicht dabei.
Naja, ich kann verstehen, dass die Eltern sich Sorgen machen, und in der Grundschule sind die Kinder ja auch noch kleiner. Aber zu helikopterhaft sollte es auch nicht sein. Vor allem, wenn das Kind auf die weiterführende Schule geht, denn mit 10 kann man auch schon besser auf sich aufpassen. Eine Anaphylaxieschulung für Kinder finde ich total gut! Und auch für die Eltern und die Lehrer! Damit sich alle mehr beruhigen und Klarheit haben. So lange man gut aufpasst, besteht ja keine Gefahr. Und wenn’s dann wirklich mal passiert, hat man ja noch den Pen.
Apropos Pen: Du hast den ja schon mal gesetzt bekommen. Wie war das für dich?
Ich hatte ziemlich große Angst davor, aber ich habe mir gedacht, da muss ich jetzt durch. Aber sobald die Nadel drin war, habe ich mich entspannt. Ein juckender Mückenstich tut mehr weh als dieser Pen! Hinterher hatte ich etwas Muskelkater. Aber wenn man dann diese winzige Kruste anguckt, die Nadel ist so dünn… da braucht man wirklich keine Angst vor zu haben.
Du bist jetzt öfter allein mit Freunden unterwegs. Wie gehst du damit um, wenn es dann was zu Essen gibt?
Dann lese ich die Zutaten und gucke, ob das geht und ob da was von Spuren steht. Wenn da kein Spurenhinweis ist, dann achte ich auf die Marke: Wenn das z.B. Ferrero* oder Nestlé* ist, dann geht das. Und wenn ich mir nicht sicher bin, esse ich es nicht. Meine Freunde kommen damit klar und essen es dann auch nicht.
Was wünschst du dir für die Zukunft – auf die Allergie bezogen?
Hm… eigentlich nichts. Also, die Allergie hat auch gewisse Vorteile: Wenn jemand was zum Geburtstag mitbringt, was ich nicht mag, muss ich das nicht essen, sondern habe eine Alternative! (lacht)
Aber ich find auch, die Allergie ist ein Teil von mir, und ohne sie wäre ich irgendwie nicht Ich!
Also keine Wünsche?
Doch, ich würde mir wünschen, dass die Leute die Allergie ernster nehmen würden und nicht einfach sagen, „da ist doch gar nichts drin!“, obwohl sie es nicht wissen. Und dass Restaurants offener und kommunikativer würden und nicht einfach sagen: „Ist mir jetzt zu viel Arbeit…“ Es ist ja eigentlich gar nicht so kompliziert!
Was ich mir noch wünschen würde, wäre, wenn die Spurenkennzeichnung Pflicht würde und nicht mehr freiwillig wäre, denn das würde für alle viel leichter werden! Und wenn keine Spuren drin sind, dass dann draufsteht: FREI VON SPUREN! Das würde allen Allergikern weiterhelfen.
Vielen Dank für deine offenen Worte!
Wer mehr über uns und das Thema Allergie und Anaphylaxie wissen will, sollte sich Planet Wissen ansehen!
(Hinweis: Dieses Interview zeigt die subjektive Sichtweise eines einzelnen Kindes und soll anderen betroffenen Kindern und Eltern Mut machen. Es steht nicht stellvertretend für alle betroffenen Kinder, sondern zeigt die individuelle Perspektive eines gut geschulten Kindes, das schwere Anaphylaxien erlebt hat und mit dem Anaphylaxierisiko großgeworden ist. Keinesfalls darf es als Bewertungsgrundlage dienen, im Sinne von „Siehste, stell dich nicht so an“! Wenn es anderen Kindern oder Eltern anders geht, gibt es immer Gründe dafür. Gern können wir zusammen daran arbeiten: email hidden; JavaScript is required)
P.S. Kann Spuren von Wissen enthalten!
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